Der Turm der Welt

Die Weltausstellung! Mélanie war erstarrt. Jeden Tag brachte der Zeitungsbote den Figaro nach Deux Églises, und jeden Tag war wenigstens eine Seite der Ausgabe mit Neuigkeiten von der Exposition gefüllt. Im Wechsel lasen die beiden Mädchen jene Berichte vor, doch Mélanie war es am liebsten, wenn ihre Cousine an der Reihe war. Dann konnte sie sich ganz den Bildern hingeben, die in ihrem Kopf erwachten: wilde und gefährliche Bilder einer fremden, unbekannten Welt, die vom vertrauten
Terrain am Quai d’Orsay Besitz ergriffen hatte. Eine Welt voller grausamer kleiner Pygmäen mit bunt bemalten Gesichtern, die aus dem Rhododendron giftige Pfeile verschossen. Voller schnaufender, pochender Maschinen, die stinkenden, schwarzen Qualm ausstießen. Und voller wagemutiger Menschen, die sich mit dem elektrischen ascenseur bis an die Spitze von Eiffels stählernem Turm befördern ließen, um Vögeln gleich die große Stadt von oben zu betrachten.

Schwindelerregende Bilder, im wahrsten Sinne des Wortes. Bilder, die ihr den Atem nahmen und doch den einen entscheidenden Vorteil hatten: Sie existierten einzig und allein in ihrem Kopf. Wenige Tage noch, und das gesamte wilde Spektakel, so fern und so nah zugleich, würde seine Tore schließen, und erleichtert würde Mélanie feststellen, dass die Stadt, in die sie zurückkehrten, noch immer das vertraute Paris war.

Die ganze Welt schaut auf Paris.

Oktober 1889: Die Pariser Weltausstellung geht dem Ende zu. Millionen von Menschen strömen in die Lichterstadt, um Zeuge des Spektakels zu werden. Die brisante internationale Lage scheint für einen Augenblick vergessen. Und doch würde gerade hier, im bunten Gewimmel der Nationen und Interessen, ein Funke genügen, um das Pulverfass zur Explosion zu bringen. Ausgerechnet da werden zwei Ermittler des französischen Geheimdienstes tot aufgefunden - sie waren einer Verschwörung auf der Spur.
Was niemand weiß: Die Zukunft Europas ist mit dem Schicksal einiger Besucher der Ausstellung eng verknüpft: Eine französische Adelige - Königin der Pariser Salons - fürchtet um ihr Geheimnis: dessen Enttarnung würde weit mehr als nur einen gesellschaftlichen Skandal bedeuten. Ein deutscher Offizier, unterwegs in einer sehr persönlichen Agenda, wird zum Spielball der Großmächte. Ein junger Fotograf schließt einen folgenschweren Pakt, um das Herz seiner großen Liebe zu gewinnen. Ist die bildschöne Kurtisane in Wahrheit eine Spionin?

Schließlich versammelt sich alles, was Rang und Namen hat, an der Spitze des Eiffelturms, um das Abschlussfeuerwerk zu bestaunen. Wann wäre der Zeitpunkt für einen Anschlag besser gewählt, um die Welt im Chaos versinken zu lassen? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt: zu Lande, zu Wasser – und in der Luft ...

Stimmen zum Buch

Ein Figurenensemble wie bei einer Dramaserie, exzellent recherchierte Fakten – ich habe mich sofort in den Straßen von Paris wiedergefunden. Diese 704 Seiten habe ich fast in einem Rutsch gelesen.

Ulrike Schädlich in der Freundin

Mit viel Humor und einem wunderbar eigenen Schreibstil legt Benjamin Monferat hier ein Werk vor, was man nicht einordnen kann. Historien-Thriller? Spionage-Landhaus-Agenten-Gesellschaftsroman mit Familiengeheimnis und Hochspannung? Egal, wie wir es nennen. Es ist ein großartiges Buch, das man lesen muss, furios, spannend, humorvoll und wunderbar erzählt.

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